Magisterarbeit: Wechselbeziehung zwischen Kulturgeographie und Internet |
Nieder mit der Tyrannei der Geographie - das war die Forderung Andrew S. Tanenbaums, die in der
Einleitung zitiert wurde. Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, dass ein Ende der Geographie trotz der
weltweiten Vernetzung noch lange nicht in Sicht ist. Es konnte im Gegenteil durch zahlreiche Beispiele
belegt werden, dass das Internet neue Untersuchungsfelder für die Kulturgeographie schafft.
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Bezogen auf die Übersicht der potenziellen Arbeitsbereiche in Abbildung 3.1 (Seite 53) wurden fünf der
sechs ausgewiesenen Themenkomplexe in dieser Arbeit behandelt; einzig die Inhalte des räumlich
orientierten Wissensmanagements in Bezug auf das Internet wurden in diesem Rahmen noch nicht näher
ausgeführt. Der Grund, dieses Thema an das Ende der Betrachtung zu stellen, ohne es dabei näher
auszuführen, liegt darin, dass es das am weitesten von der klassischen Kulturgeographie entfernte ist. Es
wäre ein weiteres, stark technisch orientiertes Kapitel notwendig gewesen, um den Ansatz angemessen
darzustellen. Um dennoch eine Vorstellung von den Forschungsinhalten dieses Bereichs zu gewinnen, sollen
im Folgenden die Anwendungsmöglichkeiten in der Praxis skizziert werden. |
Die Gemeinsamkeit von Geographie und räumlich orientiertem Informationsmanagement (ROI) besteht
grundsätzlich in dem Ziel, durch eine Reduzierung komplexer Strukturen die Orientierung des Individuums zu
erleichtern. Insofern stellen auch die im dritten Kapitel vorgestellten Programme zur Visualisierung der
Wege von Datenpaketen durch das Internet eine Art ROI dar, genauso wie die bereits erwähnten Virtual
Cities, die vorwiegend dazu dienen, stadtspezifische Inhalte darzustellen. Das besondere dabei ist, dass
sich die Fachrichtung des Informationsmanagements auf die Strukturierung von computerspezifischen
Inhalten und Objekten konzentriert: angefangen bei der Hardware einzelner oder vernetzter Rechner, über
Datenströme, bis hin zu Textdokumenten, deren Inhalte aus beliebigen Themenbereichen stammen können. Dem
Anwender soll mittels diverser Navigationsmittel der Zugang zu diesen oft vielschichtigen und
umfangreichen Informationen ermöglicht werden. Diese Aufgabe gewinnt vor allem für das Auffinden von
Inhalten im Internet eine immer größere Bedeutung. Die Gestaltung von Webseiten sollte deshalb von
Überlegungen beeinflusst sein, wie dem Besucher eine schnelle Übersicht über die beinhalteten
Themen geliefert werden kann und wie er möglichst schnell zu den gesuchten Informationen gelangt.
Dasselbe gilt für Hilfmittel wie Suchmaschinen. Ein Beispiel soll verdeutlichen, wie nahe ROI und
Geographie beieinander liegen können: Abbildung 6.1 zeigt die Benutzeroberfläche der Suchmaschine
Newsmaps (http://www.newsmaps.com), die in einer
Informationslandschaft Themen von Zeitungsartikeln und anderen Veröffentlichungen präsentiert.
Bereiche, die in der Karte nah beisammen liegen, sind inhaltlich verwandt, dort wo das Relief eine starke
Erhebung zeigt, finden sich besonders viele Beiträge.
Figure 6.1: Benutzeroberfläche des WWW-Tools Newsmaps (Screenshot http://www.newsmaps.com/maps/nationalnewsMay241015/map1024.html). Figure 6.2: Ergebnis der Suche mit dem WWW-Tool Newsmaps (Screenshot http://www.newsmaps.com/maps/nationalnewsMay241015/map1024.html). |
Wie bereits erwähnt, hat die Kulturgeographie vom Internet und der Informatisierung im Allgemeinen in
absehbarer Zeit keine Verdrängung zu befürchten, da das Individuum und mit ihm die Gesellschaft noch
immer im physischen Raum verankert sind und der virtuelle Raum zwar diese Sphäre beeinflussen kann, als
eigenständiges Phänomen jedoch nicht zu existieren vermag. Trotzdem muss sich auch die Kulturgeographie
verstärkt auf technologische Neuerungen einlassen:
The main danger, then, is not that we will make the wrong decision about the future, but that we will make no decision at all - partly because of indifference, but largely because we fail to appreciate just how very geographical are the implications of the forces now at work.Bereits vor elf Jahren traf Michael J. Clark die oben zitierte Aussage in Bezug auf das Verhältnis von Geographie und Informationstechnologie. Sein Beitrag in dem Sammelband Horizons in Human Geography zielte darauf ab, den Leser von den Vorteilen des Computers für die geographische Forschung zu überzeugen. Heute ist Clark unter anderem Direktor des GeoData Institute der Universität Southampton und beschäftigt sich mit verschiedenen Aspekten rund um das Sammeln und Auswerten von Daten mittels des Computers. Die Frage nach dem Nutzen dieses Gerätes scheint damit hinfällig geworden zu sein. |
Dieses Beispiel soll zeigen, wie schnell sich eine neue Technologie durchsetzen kann, wenn die
Bereitschaft vorhanden ist, sich auf eine Veränderung der herkömmlichen Arbeitsweise einzulassen. In der
Praxis finden sich aber auch Positionen, die sich schwer damit tun, eine neue Technologie zu übernehmen.
Blickt man zurück auf den Beginn des Internet und die Selbstverständlichkeit, mit der Mathematiker,
Physiker und Informatiker mit den ersten Computern umgingen, muss man einigen Geisteswissenschaftlern
eine gewisse anachronistische Haltung bescheinigen, da sie zum Teil erst in den späten 80er und 90er
Jahren den Computer als Hilfsmittel entdeckten, manche ihn bis heute nur spartanisch nutzen.
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Angesichts der aktuellen Diskussion um die Förderung der Informationstechnologie in Deutschland und dem
Mangel an qualifizierten Fachkräften, ist auch die Verteilung der universitären Finanzmittel in ein
neues Licht gerückt worden. Während in den traditionellen Fächern seit Jahren ein rigoroser Sparkurs
gefahren wird, sollen die Disziplinen der neuen Technologien verstärkt gefördert werden. Wenn es die
Kulturgeographie schafft, ihren Anspruch auf einen Anteil an den Forschungen bezüglich der
Informatisierung geltend zu machen, wird sie nicht Gefahr laufen, im zukünftigen Universitätssystem eine
nachrangige Rolle zu spielen. Die daran geknüpfte Vergabe von Finanzmitteln kann eine Neuorientierung der
Kulturgeographie über eine rein disziplintheoretische Frage hinaus, zu einer Entscheidung über die
zukünftigen finanziellen Möglichkeiten und Einflüsse der Disziplin werden lassen. Wie die Arbeit
gezeigt hat, muss die Kulturgeographie dabei ihren bisherigen Charakter nicht aufgeben, sondern kann
Themen und Arbeitsmethoden beibehalten. Darüber hinausgehend sind Wege gezeigt worden, die von der
Disziplin in der herkömmlichen Ausprägung wegführen und die tatsächlich zu einer Art virtuellen
Geographie führen können; der am Anfang dieses Kapitels vorgestellte Bereich des räumlich
orientierten Informationsmanagements bewegt sich zum Beispiel auf dieser Ebene. Vom physischen Raum
bereits sehr weit entfernt, sind diesem Ansatz einzig die Methoden und assoziative Parallelen zu selbigem
geblieben, die die Bezeichnung Geographie in diesem Zusammenhang noch rechtfertigen.
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Je nachdem wie stark man sich mit der klassischen Kulturgeographie verbunden fühlt, mögen vor allem diese
letzten Überlegungen etwas befremdlich anmuten. Deswegen soll noch einmal betont werden, dass das
Internet aufgrund seiner Vielfalt sowohl für klassische, als auch für neue kulturgeographische Ansätze
genügend inhaltlichen Stoff bietet, um noch eine Reihe weiterer Arbeiten an diese anzuschließen.
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